Make-or-Buy bei Zeiterfassungssystemen
von Alexander Huber
Stellen Sie sich vor, die Entscheidung, ob man eine Zeiterfassungssoftware selbst strickt oder doch eine von der Stange kauft, wäre wie ein “Schwarzer Schwan” – ein Konzept, das durch Nassim Nicholas Taleb bekannt wurde. Talebs Idee handelt von Ereignissen, die extrem selten und völlig unerwartet kommen, aber große Auswirkungen haben. Ähnlich kann die Entwicklung eigener Software unerwartete Herausforderungen und versteckte Kosten mit sich bringen. Diese Entscheidung könnte also tiefgreifende und oft unerwartete Auswirkungen auf die finanzielle und betriebliche Struktur eines Unternehmens haben.
Wichtige Überlegungen vor der Entscheidung
Wenn Sie darüber nachdenken, ein Zeiterfassungssystem selbst zu entwickeln, sollten Sie einige kritische Punkte nicht außer Acht lassen:
Ressourcenbindung und Know-how-Verlust: Die Festlegung von Entwicklungsressourcen und das Risiko, dass Know-how durch Fluktuation verloren geht, sind große Themen. Wichtiges Wissen über Wartung und Weiterentwicklung könnte verloren gehen, wenn Schlüsselpersonal das Unternehmen verlässt.
Priorisierung und Projektverzögerungen: Eigenentwicklungen rangieren oft hinter Projekten für Kunden, was zu längeren Entwicklungszeiten und Verzögerungen bei Fertigstellung und Einführung führen kann.
Einbindung verschiedener Abteilungen: Es geht nicht nur die Entwickler etwas an. Auch Leute aus HR, Buchhaltung und die Geschäftsführung müssen ins Boot geholt werden. Das kostet Zeit und verursacht indirekte Kosten.
Wartung und technologische Abhängigkeit: Ein selbst gebautes System muss regelmäßig gewartet und aktualisiert werden, um mit den aktuellen Standards Schritt zu halten und technologische Abhängigkeiten zu managen.
Opportunitätskosten: Die Mittel, die in die Entwicklung und Wartung des internen Systems fließen, könnten anderswo eingesetzt werden, um direkt Einnahmen zu generieren oder in strategische Projekte zu investieren.
Sicherheitsrisiken: Selbst entwickelte Systeme könnten anfälliger für Sicherheitslücken sein, da sie nicht dieselben Ressourcen für regelmäßige Sicherheitsupdates und Audits haben wie kommerzielle Lösungen.
Skalierbarkeit und Flexibilität: Kommerzielle Lösungen bieten oft mehr Flexibilität und Skalierbarkeit, um mit dem Wachstum des Unternehmens Schritt zu halten. Ein internes System könnte schneller an seine Grenzen stoßen und erfordert dann erneute Anpassungen oder komplette Überarbeitungen.
Gesetzliche Anforderungen und Compliance: Kommerzielle Lösungen sind in der Regel besser gerüstet, um gesetzliche Anforderungen und Compliance-Standards zu erfüllen, da sie regelmäßig aktualisiert werden, um den neuesten Vorschriften zu entsprechen.
Was kostet eine Eigenentwicklung?
Hier ein vereinfachtes Beispiel, um die Entscheidung zwischen Eigenentwicklung und dem Kauf einer kommerziellen Lösung zu durchleuchten, inklusive einer exemplarischen Kostenberechnung pro Nutzer und Monat.
Annahmen
Allgemein
- Unternehmen: 60 Mitarbeiter
Eigenentwicklung
- Entwicklungsdauer: 2 Personenmonate (320 Arbeitsstunden). Achtung: Es wird hier ein minimales Featureset angenommen.
Entwickelt man eine professionelle Lösung mit Funktionen für Projekt-, Anwesenheitzeiterfassung, Abwesenheitsmanagement und Compliance, dann ist der Aufwand dafür um ein Vielfaches höher.
- Monatlicher Wartungsaufwand: Ein Personentag pro Monat (8 Stunden)
- Interner Stundensatz eines Entwicklers: 30 Euro pro Stunde
- Entgangener Umsatz pro Entwickler: 130 Euro pro Stunde
- Zusätzliche jährliche interne Abstimmungskosten HR, Buchhaltung, GF: 2.000 Euro
Kommerzielle Lösung
- Jährliche Lizenzkosten für kommerzielle Software: 6.264 Euro (Beispiel time cockpit)
- [Optional] Einmaliges Einführungsprojekt für kommerzielle Software: 5.000 Euro
Kosten der Eigenentwicklung
Entwicklungskosten
- Einmalig: 320 Stunden × 30 Euro/Stunde = 9.600 Euro
Wartungs- und Weiterentwicklungskosten
- Monatlich: 8 Stunden × 30 Euro/Stunde = 240 Euro
- Jährlich: 240 Euro × 12 = 2.880 Euro
Entgangener Umsatz durch Wartung
- Monatlich: 8 Stunden × 130 Euro/Stunde = 1.040 Euro
- Jährlich: 1.040 Euro × 12 = 12.480 Euro
Abstimmungskosten
- Jährlich: 2.000 Euro
Gesamtkosten der Eigenentwicklung
- Im ersten Jahr: 9.600 + 2.880 + 12.480 + 2.000 = 26.960 Euro
- In den Folgejahren: 2.880 + 12.480 + 2.000 = 17.360 Euro
Kosten der kommerziellen Software
Kosten pro Nutzer pro Monat
- Pro Monat pro Nutzer: 10,85 Euro (Beispiel time cockpit)
Jährliche Lizenzkosten
- Jährlich: 7.812 Euro
Einmalige Einführungskosten
- Einmalig: 5.000 Euro
Gesamtkosten bei Kauf der kommerziellen Software
- Im ersten Jahr (inklusive Einführungskosten): 5.000 + 7.812 = 12.812 Euro
- In den Folgejahren (nur Lizenzkosten): 7.812 Euro
Kritische Betrachtung kommerzielle Software
Vendor Lock-in
Beim Kauf einer kommerziellen Lösung besteht das Risiko des Vendor Lock-ins. Das bedeutet, dass man von einem einzigen Anbieter abhängig ist, was zu Problemen führen kann, wenn der Anbieter die Preise erhöht, den Service verschlechtert oder die Software nicht mehr weiterentwickelt. Ein Wechsel zu einer anderen Lösung kann dann mit hohen Kosten und erheblichem Aufwand verbunden sein.
Abhängigkeit von der Produktentwicklung des Anbieters
Bei der Nutzung einer Standardsoftware ist das Unternehmen darauf angewiesen, dass der Hersteller die Software kontinuierlich weiterentwickelt und an die sich ändernden Bedürfnisse anpasst. Falls der Hersteller jedoch entscheidet, bestimmte Funktionen nicht weiterzuentwickeln oder die Unterstützung für bestimmte Technologien einzustellen, kann dies zu erheblichen Problemen führen.
Lösung: Anpassbare Standardsoftware
Eine mögliche Lösung für diese Probleme ist die Nutzung einer anpassbaren Standardsoftware. Solche Systeme bieten die Vorteile einer ausgereiften, professionell gewarteten Lösung und gleichzeitig die Flexibilität, Anpassungen und Erweiterungen vorzunehmen, um spezifische Anforderungen zu erfüllen. Diese Option kombiniert die Vorteile von Eigenentwicklung und kommerzieller Software und minimiert einige der Risiken.
Weiterführende Informationen
In einem weiteren Artikel werden wir detaillierter darauf eingehen, wie anpassbare Standardsoftware eine effektive Lösung für das Vendor Lock-in-Problem und die Abhängigkeit von der Produktentwicklung des Anbieters darstellen kann. Bleiben Sie dran für eine tiefere Analyse und praktische Beispiele.