Schätzgenauigkeit in Projekten steigern

von Alexander Huber

Projekte im Zeit- und Kostenrahmen abzuschließen, steht und fällt mit der Präzision der Aufwandsschätzung. Unrealistische Schätzungen gelten als Hauptgrund für Projektmisserfolge – in einer Befragung von über 1.000 IT-Fachleuten wurden zwei der drei häufigsten Ursachen gescheiterter Projekte auf mangelhafte Aufwandsschätzung zurückgeführt. Empirische Studien untermauern dies: Im Schnitt liegen Projekte etwa 30 % über dem ursprünglich geschätzten Aufwand, und selbst Schätzintervalle, die mit “90%iger Sicherheit” angegeben wurden, enthalten den tatsächlichen Aufwand nur in 60–70% der Fälle (The Impact of Lessons-Learned Sessions on Effort Estimation and Uncertainty Assessments). Eine Analyse von PwC kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und beziffert mangelhafte Schätzungen in der Planungsphase als größten Einzelgrund (32%) für das Scheitern von Projekten (Project Failure Rates, Facts and Causes).

Genaue Aufwandsschätzungen sind folglich keine Kür, sondern die Grundlage für den Projekterfolg. Realistische Schätzungen ermöglichen tragfähige Projektpläne: Wenn der zu erwartende Arbeitsaufwand möglichst präzise bekannt ist, lassen sich Ressourcen optimal einteilen und realistische Zeitpläne mit machbaren Deadlines aufstellen. Dies schafft Vertrauen bei Auftraggebern und Stakeholdern und verringert das Risiko von späteren Budgetüberschreitungen oder Terminverzug (Project Estimation Methods & Best Practices). Besonders IT-Dienstleister profitieren von hoher Schätzgenauigkeit – sie können Angebote verlässlicher kalkulieren und vermeiden ungeplante Mehrarbeit, die Projekte unrentabel machen könnte. Dieser Artikel beleuchtet die typischen Herausforderungen bei Aufwandsschätzungen und zeigt auf, wie eine systematische Projektzeiterfassung dabei helfen kann, Schätzungen durch datengestützte Erkenntnisse signifikant zu verbessern. Abschließend werden Best Practices aus Forschung und Praxis sowie konkrete Handlungsempfehlungen für Projektmanager:innen vorgestellt.

Häufig Fragen zur Schätzgenauigkeit

  1. Warum sind meine Projekt-Schätzungen oft ungenau? Weil zu Beginn eines Projekts viele Unklarheiten bestehen und menschliche Faktoren wie Optimismus und fehlende Erfahrungsdaten die Einschätzung verzerren.
  2. Wie kann Projektzeiterfassung meine Schätzungen verbessern? Durch Projektzeiterfassung erhältst du objektive Ist-Daten aus früheren Projekten. Diese Daten helfen dir dabei, zukünftige Aufwände realistischer einzuschätzen.
  3. Ist die Einführung von Zeiterfassung nicht sehr aufwendig? Nein – moderne Lösungen machen Zeiterfassung einfach, schnell und intuitiv. Der langfristige Nutzen durch genauere Schätzungen überwiegt den Aufwand deutlich.
  4. Welche Daten sollte ich konkret erfassen, um Schätzungen zu verbessern? Du solltest erfassen, wie viel Zeit für einzelne Projektaufgaben (z.B. Konzeption, Entwicklung, Meetings, Tests) tatsächlich benötigt wurde, um daraus präzisere Schätzwerte abzuleiten.
  5. Wann sehe ich erste Verbesserungen in meiner Schätzgenauigkeit? Schon nach wenigen Projekten kannst du unserer Erfahrung nach typische Schätzfehler erkennen und deine nächsten Projekte realistischer planen – vorausgesetzt, du wertest die erfassten Zeiten konsequent aus.

Herausforderungen bei der Aufwandsschätzung

Der “Korridor der Unsicherheit” (Cone of Uncertainty) verdeutlicht, dass zu Beginn eines Projekts naturgemäß eine große Schätzunsicherheit besteht, die erst im Projektverlauf abnimmt (Der “Korridor der Unsicherheit” - Peterjohann Consulting). Eine präzise Aufwandsschätzung zu Projektstart ist schwierig, da viele Parameter noch unbekannt sind. Anfangs verfügbare Informationen sind oft spärlich oder vage; Änderungen in Zielen und Umfang (Scope) können zudem unterwegs den ursprünglichen Rahmen sprengen. Projektmanagement-Standards empfehlen daher, Schätzungen regelmäßig zu aktualisieren, da mit jeder Entscheidung und neu gewonnenen Information die Ungewissheit abnimmt (Drei-Zeiten-Methode – Wikipedia).

Neben der inhärenten Unsicherheit spielen kognitive Verzerrungen und menschliche Faktoren eine große Rolle. Untersuchungen in der Softwareentwicklung zeigen, dass Aufwände systematisch zu optimistisch eingeschätzt werden und gleichzeitig eine ausgeprägte Überschätzung der eigenen Schätzgenauigkeit vorliegt (Software development effort estimation - Wikipedia). So fühlen sich Projektbeteiligte häufig “sicher”, dass ihre Schätzung zutrifft, obwohl die Realität sie regelmäßig eines Besseren belehrt. Psychologische Effekte wie Wunschdenken, der Planungsfehlschluss und Ankereffekte führen dazu, dass man Risiken und unbekannte Faktoren unbewusst ausblendet und von idealen Bedingungen ausgeht (Software development effort estimation - Wikipedia). Ein bekanntes Bonmot in diesem Kontext ist Hofstadters Gesetz: “Es dauert immer länger als man denkt – selbst wenn man Hofstadters Gesetz berücksichtigt.” Diese tückische Neigung zu Überoptimismus erklärt, weshalb Projekte trotz aller Erfahrung immer wieder mehr Zeit und Geld benötigen als vorgesehen.

Hinzu kommen organisatorische Einflüsse und Druck, die Schätzung verzerren können. In der Praxis werden Schätzwerte oft nicht isoliert als neutrale Prognose ermittelt, sondern mit Zielen vermengt: Etwa wenn das Management von vornherein ein bestimmtes Budget oder eine kurze Durchlaufzeit “vorgibt”. Solche Vorgaben können Schätzer in ihrer Einschätzung unbewusst beeinflussen. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Erwartungen des Auftraggebers – so unrealistisch sie sein mögen – einen nachweisbaren Einfluss auf die abgegebene Aufwandsschätzung haben. Schätzungen werden dann herunteroptimiert, um politischen oder verkäuferischen Vorgaben zu entsprechen, was die Realitätsnähe der Schätzung reduziert (Practical Guidelines for Expert-Judgment-Based Software Effort Estimation). Zudem verlassen sich viele Organisationen hauptsächlich auf Expertenurteile statt auf datenbasierte Modelle (Software development effort estimation - Wikipedia). Experten-Schätzungen sind zwar schnell verfügbar und nutzen Erfahrung, aber sie sind auch subjektiv und anfällig für die genannten Bias. In Summe ist Aufwandsschätzung ein komplexes Unterfangen: unvollständige Informationen, menschliche Psychologie und organisatorischer Druck stellen große Hürden dar, die es zu überwinden gilt, um die Schätzgenauigkeit im Projektmanagement zu erhöhen.

Wie Zeiterfassung funktioniert und welche Daten sie liefert

Eine vielversprechende Grundlage für bessere Schätzungen ist der systematische Blick in den Rückspiegel – genau hier setzt die Projektzeiterfassung an. Doch was ist unter Projektzeiterfassung genau zu verstehen? Projektzeiterfassung bezeichnet die detaillierte Dokumentation des Arbeitsaufwands** für Projekte oder einzelne Aufgaben. Dabei buchen Projektmitarbeiter ihre aufgewendeten Stunden auf die jeweiligen Projektaufgaben. Im Gegensatz zur bloßen Erfassung von Arbeitsbeginn und -ende (die klassische Arbeitszeiterfassung) wird also transparent gemacht, womit die Arbeitszeit ausgefüllt wurde – z.B. 4 Stunden für Anforderungsanalyse, 3 Stunden für Programmierung eines Moduls, 1 Stunde für Teammeeting etc. Dieses granulare Erfassen der Ist-Zeiten erfolgt heute meist digital, z.B. mittels spezieller Tools oder Software, kann aber prinzipiell auch in Tabellen geschehen. Wichtig ist, dass pro Arbeitspaket oder Tätigkeit nachvollziehbar festgehalten wird, wie viel Aufwand tatsächlich angefallen ist.

Durch die Projektzeiterfassung entstehen wertvolle Ist-Daten über den Projektverlauf: Sie zeigt schwarz auf weiß, welche Aufgaben wie lange gedauert haben und wohin die projektbezogene Arbeitszeit geflossen ist. Damit ermöglicht sie den Soll-Ist-Vergleich – also die Gegenüberstellung von geplanten Aufwänden (Schätzungen) und tatsächlichen Aufwänden. Projektmanager:innen können laufend oder nach Projektende prüfen, wo Schätzungen stimmten und wo deutliche Abweichungen auftraten. Abbildung und Historisierung solcher Abweichungen ist ein zentrales Element des Projektcontrollings. Ohne Zeiterfassung bleiben Schätzungen im Nachhinein oft unüberprüft – man weiß vielleicht, dass ein Projekt überzogen hat, aber nicht genau, welche Tätigkeiten den Mehraufwand verursachten. Durch konsequente Zeiterfassung hingegen liegen harte Daten vor: Beispielsweise kann man erkennen, dass für das Testen 30% mehr Zeit benötigt wurde als angenommen, oder dass bestimmte “Kleinigkeiten” (Bugfixing, Abstimmungen, Dokumentation) in Summe doch erhebliche Aufwände verursacht haben. Solche datenbasierten Erkenntnisse lassen sich anschließend analysieren und aufbereiten. Moderne Tools bieten Berichte, die etwa Abweichungen pro Arbeitspaket oder Aufwandsverteilungen visualisieren. Damit liefert die Projektzeiterfassung die empirische Grundlage, um aus der Vergangenheit zu lernen.

Neben der Plan-Ist-Abweichung liefert die Leistungszeiterfassung noch weitere nützliche Kennzahlen. Sie macht Kapazitäten und Auslastungen sichtbar (wie viel Prozent der Zeit fließen in Projekt A vs. Projekt B, wie stark ist ein:e Mitarbeiter:in ausgelastet) und unterstützt so auch die Ressourcenplanung. Vor allem aber schafft sie einen historischen Datenschatz über viele Projekte hinweg. Über die Zeit baut ein Unternehmen eine Datenbank auf, wie lange bestimmte Arten von Aufgaben typischerweise dauern – z.B. Aufwandsschätzungen für einen Website-Relaunch, die Implementierung einer bestimmten Softwarefunktion oder die Durchführung eines Workshops. Dieser Fundus an Ist-Daten ist das Rohmaterial, um Schätzmodelle zu kalibrieren und die eigene Schätzfähigkeit kontinuierlich zu verbessern.

Wie diese Daten zur Verbesserung von Schätzungen beitragen

Die Lernkurve aus vergangenen Projekten ist der Schlüssel, um künftige Planungen präziser zu machen. Teams, die ihre Zeiten systematisch erfassen, lernen aus der Vergangenheit und können realistischere Zeitrahmen für zukünftige Projekte setzen (Wie man die Arbeitszeit in der Softwareentwicklung optimal erfasst - TechnologieBox). Der Vergleich von geplantem und tatsächlichem Aufwand zeigt unmittelbar, wo die Schätzung danebenlag. Diese Rückmeldeschleife (“Feedback Loop”) erlaubt es, Annahmen zu hinterfragen und die Schätzlogik anzupassen. Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Soll-Ist-Abgleich lassen sich künftige** Planungen und Aufwandsschätzungen gezielt optimieren**. Beispielsweise kann ein Projektmanager feststellen, dass Entwicklungsaufgaben systematisch unterschätzt wurden, während Puffer für Meetings ungenutzt blieben. Mit diesen Erkenntnissen werden kommende Schätzungen entsprechend justiert – etwa indem man für Entwicklungstätigkeiten mehr Reserve einplant oder häufiger wiederkehrende Aufgaben (wie Testzyklen) genauer berücksichtigt.

Auch statistische Auswertungen unterstützen die Verbesserung der Schätzgenauigkeit. Wenn genügend Daten vorliegen, lassen sich typische Aufwandskennzahlen errechnen: z.B. durchschnittliche Personentage pro Feature, Produktivitätsraten pro Mitarbeiter:in oder Verhältnis von Implementierung zu Testaufwand. Diese Kennzahlen ermöglichen Parametrische Schätzungen, bei denen neue Projekte anhand von historischen Daten und Projektparametern kalkuliert werden (Project Estimation [Methods & Best Practices] | The Workstream). Ein einfaches Beispiel: Hat ein Team in der Vergangenheit im Schnitt 5 Tage für die Implementierung von 10 User Stories benötigt, so kann man für ein neues Projekt mit 20 vergleichbaren User Stories etwa 10 Tage veranschlagen (natürlich unter Berücksichtigung weiterer Faktoren). Ebenso lassen sich analoge Schätzungen durchführen, indem man ein bevorstehendes Projekt mit einem bereits abgeschlossenen ähnlichen Projekt vergleicht. Die tatsächlichen Aufwände des früheren Projekts dienen dabei als Orientierungswert für das neue – diese Methode, auch Analogiemethode genannt, hat sich als praxisnahe Technik bewährt (Project Estimation [Methods & Best Practices] | The Workstream). Voraussetzung ist natürlich, dass solche Vergleichsdaten vorhanden und zugänglich sind – was durch konsequente Zeiterfassung gewährleistet wird.

Ein weiterer Vorteil der Datenbasis: Abweichungsmuster erkennen. Durch die Analyse mehrerer Projekte können Organisationen feststellen, ob es systematische Muster gibt – z.B. bestimmte Phasen (wie Konzeption) oder Aufgabenarten (etwa Qualitätssicherung), die regelmäßig über Plan laufen. Solche Muster liefern Ansatzpunkte, um die Schätzmethodik zu verfeinern. Vielleicht müssen für bestimmte Tätigkeiten konservativere (höhere) Aufwandsannahmen getroffen werden. Oder es zeigt sich, dass Risiken in frühen Schätzungen nicht ausreichend berücksichtigt wurden, und man etabliert künftig Methoden wie die Drei-Punkt-Schätzung, um Optimismus und Pessimismus mit einzukalkulieren. Letztlich schafft die Verfügbarkeit von Ist-Daten eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung im Projektmanagement: Schätzen wird vom einmaligen Akt vor Projektstart zu einem iterativen Prozess, bei dem man aus jedem Projekt lernt. Studien betonen, dass eine solche Feedback-Kultur die Schätzgenauigkeit erheblich steigern kann – etwa indem Teams Abweichungen und Fehler explizit dokumentieren und besprechen, um daraus Lessons Learned für die nächste Schätzrunde abzuleiten. Kurz: Was gemessen wird, kann verbessert werden. Projektzeiterfassung sorgt dafür, dass Aufwandsschätzungen nicht im luftleeren Raum bleiben, sondern durch empirische Daten validiert und kalibriert werden.

Auch in unseren eigenen Anpassungsprojekten bei time cockpit haben wir gemerkt, wie wichtig es ist, tatsächlich angefallene Aufwände systematisch zu erfassen. Ein gutes Beispiel dafür war die Konfiguration des Berechtigungssystems. In ersten Schätzungen gingen wir oft davon aus, dass diese Aufgabe vergleichsweise rasch erledigt sein würde. Durch die genaue Zeiterfassung stellte sich jedoch heraus, dass das Anpassen der Berechtigungen regelmäßig mehr Zeit in Anspruch nahm als ursprünglich geplant.

Nachdem wir diese Abweichungen einige Male dokumentiert und ausgewertet hatten, konnten wir unsere Schätzungen für zukünftige Projekte entsprechend anpassen. Heute planen wir realistischere Zeitfenster für die Berechtigungskonfiguration ein und verhindern so unnötigen Stress für unser Team und unsere Kunden. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass konsequente Zeiterfassung hilft, auch vermeintlich einfache Aufgaben besser einzuschätzen und damit insgesamt zuverlässigere Projektplanungen zu erstellen.

Best Practices aus der Forschung

Die Verbindung von praktischer Erfahrung und wissenschaftlichen Erkenntnissen ergibt einen Werkzeugkasten an Best Practices, um Schätzungen immer zuverlässiger zu machen. Im Folgenden einige bewährte Ansätze, die durch Forschungsergebnisse gestützt werden:

  • Historische Projektdaten nutzen: Studien zeigen eindeutig, dass Schätzmodelle, die mit unternehmenseigenen Ist-Daten kalibriert werden, deutlich genauer sind (Software development effort estimation | Wikipedia). Kein Schätzverfahren ist generell überlegen – die Genauigkeit hängt stark vom Projektkontext ab. Daher gilt: Nutzen Sie die Daten vergangener Projekte als Referenz. Analogien (Vergleich mit ähnlichen Projekten) und parametrische Modelle (Formeln basierend auf empirischen Größen) liefern verlässlichere Ergebnisse, wenn sie mit realen Erfahrungswerten gefüttert werden, anstatt auf branchenfremden Durchschnittswerten zu beruhen. Ein bekanntes Beispiel sind Schätzformeln wie COCOMO, die in einer Organisation erst dann gute Dienste leisten, wenn sie mit eigenen Projektmetriken justiert wurden. 

  • Kombination von Schätzmethoden: Verlassen Sie sich nicht auf eine einzige Zahl oder Meinung. Die Forschung rät dazu, mehrere unabhängige Schätzungen zu kombinieren, um Ausreißer zu neutralisieren und blinde Flecken zu reduzieren. Tatsächlich ist eine der robustesten Erkenntnisse im Projekt-Forecasting, dass die Kombination unterschiedlicher Ansätze die Schätzgenauigkeit im Durchschnitt erhöht (Software development effort estimation | Wikipedia). Das kann bedeuten, die Einschätzungen mehrerer Experten einzuholen (und ggf. zu mitteln) oder unterschiedliche Methoden anzuwenden (z.B. eine Bottom-up-Schätzung mit einer Top-down-Schätzung abgleichen). Divergieren die Ergebnisse stark, sollte man die Gründe analysieren – häufig ergeben sich daraus wichtige Hinweise auf übersehene Aspekte. In agilen Teams hat sich etwa Planning Poker als nützlich erwiesen, um durch Teamkonsens bessere Schätzwerte zu erzielen, da extreme Meinungen diskutiert und relativiert werden. 

  • Schätzungen regelmäßig aktualisieren: Eine Schätzung ist keine in Stein gemeißelte Größe, sondern muss mit Projektfortschritt iterativ nachgeschärft werden. Best Practice ist, Meilensteine für Neu-Schätzungen einzuplanen – z.B. nach Abschluss der Anforderungsanalyse, zur Halbzeit des Projekts oder bei großen Änderungen. Die Genauigkeit steigt typischerweise, je mehr man vom Projekt bereits umgesetzt hat, daher sollten Projektpläne agil genug sein, neue Erkenntnisse aufzunehmen (Drei-Zeiten-Methode | Wikipedia). Ein agiles Vorgehen wie Scrum trägt dem Rechnung, indem in jedem Sprint neu geplant (und implizit neu geschätzt) wird. Auch im klassischen Projekt sollte der Plan-Ist-Vergleich in regelmäßigen Abständen erfolgen und der Restaufwand ggf. neu geschätzt werden. So nutzt man den schmaler werdenden “Korridor der Unsicherheit”, anstatt an veralteten Annahmen festzuhalten. 

  • Transparenz über Unsicherheiten herstellen: Da Schätzungen immer mit Unsicherheit behaftet sind, empfiehlt die Literatur, diese offen zu kommunizieren – etwa durch Angabe von Bandbreiten oder Wahrscheinlichkeiten. Eine Methode ist die Drei-Punkt-Schätzung (PERT-Methode), bei der für jede Aufgabe ein optimistischer, ein wahrscheinlicher und ein pessimistischer Wert geschätzt und daraus ein gewichteter Mittelwert berechnet wird (Drei-Zeiten-Methode – Wikipedia). Die Spannbreite macht sichtbar, dass es Abweichungspotenzial gibt. Ebenso kann man sogenannte p-Werte angeben, z.B. “wir haben 80% Vertrauen, dass wir mit 1.000 Stunden auskommen”. Solche Angaben fördern ehrliche Erwartungen und ermöglichen es, Risiken bewusst einzuplanen (etwa durch Reserven für den Worst Case). Wichtig ist laut Experten, dass Schätzende nicht durch überzogene Zielvorgaben zur Beschönigung gedrängt werden – die Schätzung sollte zunächst neutral erfolgen, bevor eventuell bewusst Puffer oder Kürzungen für die Planung vorgenommen werden (Practical Guidelines for Expert-Judgment-Based Software Effort Estimation).

  • Aufwandsschätzung als Teamlernen etablieren: Schätzgenauigkeit verbessert sich, wenn Teams daraus lernen. Führen Sie nach Projektabschlüssen Lessons-Learned-Sessions durch, in denen Schätzungen und tatsächliche Aufwände verglichen werden. Dabei sollten nicht Schuldige gesucht, sondern Muster und Ursachen analysiert werden. Das PMI Institut betont, dass Lessons Learned essenziell sind, um zukünftige Projekte zu verbessern (Lessons Learned Next Level Communicating | PMI). Allerdings hat die Forschung auch gezeigt, dass der Lerneffekt nur eintritt, wenn diese Sessions gut gestaltet sind. Beispielsweise kann es hilfreich sein, Vergleiche mit anderen Teams oder Projekten heranzuziehen – eine Studie fand heraus, dass Schätzer realistischer werden, wenn sie Feedback über die Schätzperformance anderer Teams erhalten, anstatt nur die eigenen Abweichungen zu betrachten (The Impact of Lessons-Learned Sessions on Effort Estimation and Uncertainty Assessments). Dies verhindert Betriebsblindheit und fördert eine Kultur, in der man offen über Schätzfehler spricht. Kurz gesagt: Schätzen soll als kontinuierlicher Verbesserungsprozess verstanden werden. Investieren Sie in die Ausbildung der Mitarbeiter in Schätzmethoden und nutzen Sie jedes Projekt, um Ihre Schätzfähigkeiten als Organisation zu verfeinern. 

Fazit

Schätzgenauigkeit im Projektmanagement ist kein unerreichbares Ideal – sie lässt sich durch systematisches Vorgehen und Nutzung von Daten spürbar erhöhen. Die Projektzeiterfassung spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem sie die notwendige Faktenbasis liefert, um aus Plan-Ist-Abweichungen zu lernen. Projekte werden seltener von Überraschungen geplagt, wenn man aus den Erfahrungen vieler vergangener Aufgaben und Projekte schöpfen kann. Historische Ist-Daten wirken wie ein Realitätscheck für neue Vorhaben: Sie zwingen dazu, Annahmen zu validieren und extreme Optimismustendenzen zu zähmen. So werden Schätzungen Schritt für Schritt realistischer und belastbarer. Für Projektmanager:innen und IT-Dienstleister bedeutet dies konkret:

1. Etablieren Sie eine konsequente Projektzeiterfassung: Ohne valide Ist-Daten bleibt die Verbesserung der Schätzgenauigkeit dem Zufall überlassen. Sorgen Sie dafür, dass in Ihren Projekten die aufgewendete Zeit lückenlos erfasst wird – idealerweise mit einem benutzerfreundlichen Tool, das die Erfassung nicht zur Last werden lässt. Kommunizieren Sie den Nutzen der Zeiterfassung ans Team (nicht zur Kontrolle, sondern zur gemeinsamen Lernkurve!) und schaffen Sie Vertrauen, indem Sie transparent mit den gewonnenen Daten umgehen.

2. Führen Sie regelmäßige Soll-Ist-Analysen durch: Nutzen Sie die erfassten Daten aktiv, um Planabweichungen auszuwerten. Dies kann in Projekt-Reviews oder Abschlussmeetings geschehen. Fragen Sie: Welche Schätzung lag deutlich daneben und warum? Waren bestimmte Aufgaben nicht ausreichend detailliert geplant? Haben externe Faktoren Zeit gekostet, die wir künftig einplanen sollten? Dokumentieren Sie diese Erkenntnisse und aktualisieren Sie Ihre Schätzvorlagen oder Checklisten entsprechend.

3. Bilden Sie eine Wissensbasis und nutzen Sie sie bei neuen Schätzungen: Pflegen Sie eine Art “Schätzungskatalog” oder Datenbank aus vergangenen Projekten. Wenn ein neues Projekt ansteht, schauen Sie bewusst nach ähnlichen Referenzprojekten: Wie hoch war dort der Aufwand, wie die Verteilung auf Phasen? Ziehen Sie Lehren – etwa indem Sie fragen, was damals unterschätzt wurde, und genau diese Punkte im neuen Projekt besonders beachten. So fließt historisches Wissen in jede neue Planung ein.

4. Wenden Sie anerkannte Schätzmethoden an und kombinieren Sie sie: Schulen Sie Ihr Team in Methoden wie Drei-Punkt-Schätzung, Planning Poker, Wideband-Delphi oder Funktionspunkt-Schätzung. Nutzen Sie mehrere Ansätze parallel, um unterschiedliche Blickwinkel zu erhalten. Beispielsweise können Sie erst eine expertenbasierte Bottom-up-Schätzung machen und zusätzlich anhand von Kennzahlen eine Top-down-Kalkulation durchführen – stimmen beide überein, ist die Zuversicht hoch; klaffen sie auseinander, sollte man genauer nachforschen. Integrieren Sie Puffer für identifizierte Risiken und scheuen Sie sich nicht, Schätzungen als Spanne anzugeben, falls Unsicherheit besteht.

5. Halten Sie Schätzen und Planen getrennt: Achten Sie darauf, dass die Schätzphase frei von politischem Druck abläuft (untitled). Geben Sie Schätzenden die Möglichkeit, realistisch zu prognostizieren, bevor geschäftliche Zielsetzungen einfließen. So erhalten Sie ehrliche Zahlen. Passen Sie dann gemeinsam die Planung an, um innerhalb von Budget- oder Zeitvorgaben zu bleiben – aber wissend, wie groß die Abweichung zur neutralen Schätzung ist. Diese Transparenz hilft, bewusste Entscheidungen zu treffen (z.B. Umfang reduzieren, Team verstärken) anstatt von falschen Annahmen auszugehen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Schätzgenauigkeit ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines lernenden Prozesses. Durch Projektzeiterfassung und konsequente Auswertung der gewonnenen Daten verwandeln Sie jede Projekterfahrung in einen Schatz an Wissen für die Zukunft. Mit der Zeit werden Ihre Schätzungen immer treffsicherer. Davon profitieren alle Beteiligten – die Projektmanager:innen, die Projekte verlässlicher steuern können; die Teammitglieder, die realistischere Vorgaben und weniger Überstundendruck erleben; und die Kunden bzw. Auftraggeber, die mehr Vertrauen in Zeit- und Budgetzusagen fassen. Datengetriebene Schätzung ist somit ein Wettbewerbsvorteil für jedes Projekt-orientierte Unternehmen, insbesondere in der dynamischen IT-Branche. Indem Sie heute die Grundlagen legen (Zeiterfassung, Analyse, Best Practices), verbessern Sie dauerhaft die Planbarkeit und Erfolgsquote Ihrer Projekte – ein entscheidender Schritt vom “Bauchgefühl” hin zu belastbarem Projektmanagement auf hohem Niveau.